„Raum kann Glück, Trauer, Verständnis, Entspannung, Erhabenheit oder Angst auslösen.“ (Bach Mühle Fuchs) – In unserem Format Vis-à-Vis sprechen Schweizer Architektinnen und Architekten über die verschiedenen Gesichtspunkte ihres Berufs und beantworten Fragen zu ihrer Idee von Schönheit und der Rolle, die sie in der Gesellschaft einnehmen.
Welche Aufgaben beschäftigen Sie gerade?
Wir bearbeiten derzeit verschiedene Aufgaben in unterschiedlichen Massstäben. Was diese verbindet, ist der Anspruch, eine zukunftsfähige Architektur zu schaffen, die strukturell offen und umweltschonend ist. So erarbeiten wir im Moment kostengünstige und ökologische Wohnungen, ermöglichen zusammen mit Anwohner:innen die Gestaltung eines Innenhofs, bauen ein Reihenhaus in ein Mehrgenerationenhaus um, erweitern eine Schule und setzen uns für die Umnutzung eines Industrieareals im ländlichen Raum ein.
Welches architektonische Werk hat Sie kürzlich begeistert?
Die Bagni Popolari in Baden finden wir einen Beitrag. Die Brunnen geben der Gemeinschaft das warme Wasser zurück, bringen Menschen zusammen und prägen den Flussraum mit neuen Möglichkeiten der Aneignung. Sie bieten die Chance auf eine neue Öffentlichkeit und tragen dazu bei, den Ort langfristig umzudeuten.
Inwiefern unterstützen oder behindern neuartige Materialien die Architektursprache?
Materialien bieten, unabhängig ob herkömmliche oder neuartige (wiederentdeckte), spezifische architektonisch-räumliche Möglichkeiten. Durch Abfragen der Eigenschaften lassen sich spezifische Konstruktionen und Räume entwerfen. In materialgerechtem Bauen steckt architektonisches Potenzial. Dabei bieten in der Bauindustrie heute unbekanntere Materialien überraschendes räumliches Potenzial. Das Hanfhaus in Serbien war diesbezüglich eine interessante Erfahrung für uns, da wir viele neuartige Details aus dem Material Hanfkalk entwickelt haben. Gleichzeitig stellen wir aber auch fest, dass gerade aufgrund von Haftungsfragen vielfach das Konventionelle einen einfacheren Stand hat. Die vermeintliche Erfahrung und der Leistungsdruck beim Bauen können die Suche nach innovativen Ideen behindern.
Haben Sie eine Idee von Schönheit?
Schönheit erleben wir bei Häusern, denen eine Wahrheit innewohnt. Die Beziehungen zwischen Kontext, Idee, Form, Ausdruck, Raum, Statik, Konstruktion, Nutzung, Geschichte und Gestaltung greifen ineinander und schaffen synergetisch Neues. Besondere Freude bereitet uns, wenn neben dem Kopf und dem Herzen der Bauenden auch die Logik der Ausführenden, also der effektiv bauenden Hand, spürbar ist oder in der Konstruktion sichtbar wird.
Wann wird ein Gebäude zu Architektur?
Bauen meint ganz basal, physisch die Welt und damit Raum zu verändern. Das bedeutet umgekehrt, dass immer schon etwas vorhanden ist – auch wenn noch „nichts“ gebaut ist. Stadt, Haus, Dinge, Menschen und Lebewesen sind in einer Interaktion und formen einen situativen und sich stetig verändernden Raum. Architektur ist Teil des Schauspiels. Sie bringt die Akteur:innen zusammen und formt ein strukturiertes Beziehungsgeflecht, in dem es ermöglicht werden soll, eine gemeinsame räumliche Idee zu formulieren. Ein Gebäude wird somit zur Architektur, wenn es unterschiedlichste Umweltaspekte zu vereinen und daraus eine gebaute Einheit zu schaffen vermag.
Welche Tugenden sollte ein Architekt erfüllen?
Als Architekt:innen ist es unsere Aufgabe, vermeintliche Gegebenheiten kritisch zu hinterfragen. Die Möglichkeit, Räume zu ändern, bringt eine Verantwortung gegenüber unserer Zukunft mit sich. Die unterschiedlichen Interessen und Abhängigkeiten von Bauenden, Gesellschaft, Ökologie und Ökonomie, müssen an den gesellschaftlichen Visionen der nächsten Generationen gespiegelt werden. Kritisch, verantwortungsvoll, visionär und zurückhaltend sehen wir als wichtige Tugenden.
Welche Rolle spielt der Architekt in der Gesellschaft?
Architektur verstehen wir als gemeinschaftlichen Prozess der Gestaltung unserer Umwelt hin zum Besseren. Zusammen mit unterschiedlichen Partner:innen arbeiten wir an einer gemeinsamen Fragestellung. Wir bevorzugen die Zusammenarbeit in Arbeitsgemeinschaften, einen frühen Einbezug der Fachplanung und teilhabende Auftraggebende in einer partizipativen Planung. Die projektspezifische Zusammensetzung der am Prozess Beteiligten führt zu einer grossen Spannweite an möglichen Ergebnissen. Die entstehenden Projekte sind gestalterisch nicht kontrollierbar – sollen das aber auch nicht sein. Wir verstehen unser Büro denn auch als eine Plattform, bei der alle Beteiligten ihre Interessen und ihr Wissen einbringen können und sollen. Dementsprechend leben wir auch eine bewusst flache, gleichberechtigte Bürokultur und pflegen keine formale Bürosprache. Uns interessiert kollaborative Planung mehr als Autorenarchitektur. Die Architekt:innen sind in diesem Prozess Expert:innen des Raumes.
Welche Rolle sollte heute die Politik gegenüber der Architektur spielen?
Politik formt Architektur. Sie legt gesamtgesellschaftliche Rahmenbedingungen für die Architektur fest, sei es durch Gesetze (Baugesetze, Suva-Vorschriften, SIA-Normen) oder durch Schutz (Denkmalschutz, Landschaftsschutz). Diese gemeinsamen Rahmenbedingungen suggerieren eine einzige geeinte Gesellschaft. Doch Gesellschaft ist nicht in einer Form beschreibbar, sondern besteht aus ganz vielen unterschiedlichen Ausprägungen mit teils konträren Interessen. Diese Pluralität wird in der Architektur repräsentiert. Dabei ist es erst mal unwichtig, ob dieses Selbstverständnis bewusst ausgedrückt wird. Wir sollten also jegliche Architektur immer politisch sehen. Wollen wir die Architektur ändern, müssen wir als Architekt:innen uns als politische Akteure verstehen.
Kann Architektur die Welt verbessern?
Architektur kann Möglichkeitsräume für die Gesellschaft bieten, soziale Regeln des Zusammenlebens hinterfragen, Ordnung oder Unordnung schaffen, bestehende Qualitäten verdeutlichen, uns überraschen oder Gefühle erzeugen. Raum kann Glück, Trauer, Verständnis, Entspannung, Erhabenheit oder Angst auslösen. Raum beeinflusst, wie wir leben und wie wir zusammenleben. So zementiert beispielsweise eine Wohnungsaufteilung mit vom Ess-/Wohnbereich abgetrennten Küchen traditionelle Rollenbilder oder heutige Strassenquerschnitte die Bevorzugung des motorisierten Individualverkehrs im öffentlichen Raum. Gleichzeitig dürfen wir die Möglichkeiten in unserer wirtschaftsliberalen, egozentrischen und xenophoben Welt nicht überbewerten. Diese divergierenden Kräfte vermag Architektur nicht auszugleichen.
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