Neue Wege einzuschlagen und Herausforderungen mit innovativen Lösungen zu begegnen, sind zentrale Eckpfeiler der Unternehmenskultur des Schweizer Holzbaubetriebs Erne. Der neue Erweiterungsbau seines Firmensitzes in Stein in Zusammenarbeit mit Burkard Meyer Architekten spiegelt ebenjene Werte wider. Gleichzeitig repräsentiert er ein zukunftsfähiges Vorbild für die nächste Generation von Bürobauten, indem er den Kreislaufgedanken, minimalen Rohstoffeinsatz sowie smarte Werkstoffverbindungen und natürliche Materialien unter einem Dach vereint.
Während das Schweizer Unternehmen vor 30 Jahren rund 80 Mitarbeitende umfasste, hat sich diese Zahl mittlerweile mehr als vervierfacht – die Hälfte der Angestellten arbeitet im Bereich der Planung. Aufgrund dieses Wachstums wurde der Arbeitsplatz am Standort Stein zu knapp und das bisherige Bürogebäude, ein Ensemble aus gebrauchten Holzmodulen eines Kunden, konnte dem Platzbedarf nicht mehr gerecht werden. Der im Sommer 2024 fertiggestellte Erweiterungsbau von Burkard Meyer Architekten, der nach Westen hin an dieses modulare Bestandsgebäude anschliesst, erlaubt weitere 110 Arbeitsplätze, die sich auf insgesamt 3380 m2 Nutzfläche verteilen. Der dreigeschossige Neubau begeistert nun nicht nur mit seiner modernen und angenehmen Arbeitsumgebung, sondern eröffnet mit der Kombination ökologischer Materialien und neuster Technologien einen Raum für Innovationen und Austausch. So wurde ein besonderer Dreh- und Angelpunkt geschaffen, wo das Wissen der Mitarbeitenden und Kund:innen zusammenfindet. Das Know-how ist exemplarisch, und dabei sollen den potenziellen Kund:innen beim Besuch die Möglichkeiten des Holzbaus aufgezeigt werden. Hierfür hat das Unternehmen erneut auf eine enge Zusammenarbeit mit dem Badener Architekturbüro – wie zuvor bereits beim Hochhaus S22 in Risch-Rotkreuz – gesetzt und an der Realisierung des Büroneubaus getüftelt, das sowohl die Paradigmen des Unternehmens als auch die gestalterischen und architektonischen Grundsätze der Architekten wiedergibt.
Anknüpfen
Zudem stellt die Erweiterung in Stein eine Weiterentwicklung des ersten Schweizer Holzhochhauses auf dem Suurstoffi-Areal in Risch-Rotkreuz dar, bei dessen Umsetzung das Planerduo Erne und Burkard Meyer bereits wesentliche Erfahrungen sammeln konnte. Somit ist die prägendste Gemeinsamkeit dieser beiden Bauwerke deren bauliche Umsetzung in einer Hybridkonstruktion, wofür ein Holzskelettbau in Stein an zwei Kerne aus Stampflehm, die nur sich selbst tragen und mittels Stahlkreuzen ausgesteift sind, angefügt wurde – eine Neuformulierung der Betonkerne im S22. Des Weiteren sind in beiden Bauwerken die Geschosse mit Holz-Beton-Hybriddecken getrennt, die zugleich die haustechnischen Installationen aufnehmen. Die Kombination dieser eigentlich kontrastierenden Baustoffe ermöglicht letztlich das innovative zehnstöckige Gebäude auf dem Suurstoffi-Areal, das nicht nur auf voller Linie den Brandschutzvorschriften entspricht, sondern insbesondere auf eine effiziente Rohstoffverwertung setzt, die raumatmosphärische Vorteile des Holzbaus garantiert und dank der Vorfabrikation der Fassaden- und Deckenelemente zugleich einen zügigen Baufortschritt gewährleistet. Während im Inneren vor allem Holz den Charakter der Räume prägt, zeigt sich das Gebäude von aussen mit einer tektonisch gefügten, matten Alucobondverkleidung, die mit repetitiv gesetzten Fensteröffnungen eine klare, elegante Gebäudehülle schafft – eine Struktur, die in Stein ähnlich aufgegriffen wurde. Doch mehr als an diese Bauweise und das konstruktionsspezifische Wissen knüpft der Erweiterungsbau des Erne-Büros zudem wortwörtlich an den Bestand in Stein an. So erweitert der neue Holzhybridbau das Raster des bestehenden Bürogebäudes und schafft zugleich ein Gegenüber zum neu erstellten Parkhaus und den bestehenden Fabrikationshallen.
Frage der Kombination
Prägende Eckpfeiler in der Planung und im Bau waren darüber hinaus die Begriffe Reduce, Reuse und Recycle, die mit einem tiefen Energieverbrauch und einer geschickten Kombination von Baustoffen das Projekt von Beginn an begleiteten. Aspekte, die die Wahl der Holzhybridbauweise untermauerten und letztlich in dem modernen und dennoch atmosphärischen Bürogebäude in der für Burkard Meyer Architekten typischen Handschrift resultierte. Stellvertretend für aktuelle Strategien im Umgang mit einer CO2-reduzierten Bauweise folgt der Neubau zudem Design-for-Disassembly-Gedanken. Die von aussen prägende klassische Pfosten-Riegel-Fassade aus Aluminium mit ihren raumhohen Verglasungen und eine allgemein sehr hohe Transparenz prägen die Erscheinung und verleihen dem Bauwerk einen schlichten und gleichzeitig eleganten sowie sehr urbanen Charme. Zugleich erlaubt ihre Gestaltung einen von Tageslicht durchfluteten Innenraum, in dem dank dem hohen Holzanteil eine angenehme, beinahe wohnliche Atmosphäre vorherrscht. Im Inneren ist der Baustoff Holz dominant, der geschickt mit Beton und Stahl kombiniert wurde, um möglichst schlanke, materialsparende Konstruktionen zu ermöglichen. Mit diesen Konstruktionslösungen wurde das Thema Reduce optimal abgedeckt und einbezogen. Weitere Details wie lösbare Verbindungen erlauben zudem einen Rückbau sowie die spätere Weiternutzung der Bauteile, für welche zuvor schon wo immer möglich recycelte Baustoffe verwendet wurden. Neben den ganzen Neuentwicklungen zeigt der Erweiterungsbau hingegen auch, dass bereits Kleinigkeiten den Unterschied machen. Ein Beispiel dafür sind die Geländer der Bürogeschosse. Sie bestehen aus schlichten Holzrahmen, ausgefacht mit Drahtseilmaschen – industrielle Ästhetik einfach umgesetzt.
Mit Struktur
Ebenso basiert die Grundstruktur des Gebäudes auf Einfachheit: Der Grundriss besteht aus einem quadratischen Raster von 8 × 8 m, wodurch die Struktur des angrenzenden Bestandgebäudes weitergeführt wird. Rund 3 m hohe Stützen aus Stabbuche tragen die hybriden Geschossdecken, die mit einem minimalen Betonspiegel von 120 mm überzogen sind und so den Anforderungen an Trittschalldämmung und Brandschutz gerecht werden. Im eigenen Firmensitz kam für den Bodenbelag im Erdgeschoss Recyclingbeton aus Mischabbruch zum Einsatz, aus Stampflehm. Möglich war dies nur dank einer neuen Technologie, die den Schwund des Recyclingbetons kompensiert. Die vorgefertigten Deckenelemente weisen nun Dimensionen von rund 7 m Länge und 2,5 m Breite auf, mussten auf der Baustelle nur mehr aneinandergeschweisst und die Fugen aufgefüllt werden. Dank dieser hybriden Konstruktionsweise der Decken, die das Eigengewicht der Elemente verringern, konnte die Armierung in den Geschossdecken reduziert und somit die Grauenergie in etwa halbiert werden.
Bemerkenswert sind zudem die Verbindungen zwischen Stützen und Decken, für welche spezielle Knoten entwickelt wurden. Diese bestehten aus Stahlverbindungen sowie einem vor Ort betonierten Würfel und sorgen für eine optimale Übertragung der vertikalen Kräfte – eine Gebäudehöhe von bis zu 100 m wäre mit diesen möglich. Statt deren statisches Können auszureizen, wollten die Planer mit diesem Detail vorrangig erste Erfahrungen sammeln.
Ein Ganzes
Eine weitere Besonderheit stellte darüber hinaus das fein gegliederte Dachtragwerk dar, das von japanischen Tragwerken inspiriert ist und mit Sheddach-Oberlichtern eine natürliche Beleuchtung im Bürogebäude garantiert. Erstellt wurde dieses Fachwerk aus Stabbuche – ein enorm tragfähiger Holzverbundstoff, der in Kombination mit der gewählten Geometrie schlanke Träger in der Konstruktion erlaubt und den Bedarf an Baubuche minimiert, wodurch Leimstoffe im Bauwerk eingespart werden konnte. Die Buchenholzstäbe sind nur zusammengesteckt und lassen sich bei Bedarf zu einem späteren Zeitpunkt einfach demontieren und an einer anderen Stelle wieder einsetzen. Diese raumprägende Fachwerkstruktur überspannt nun den offenen Innenhof, der als Begegnungsraum, Treffpunkt, Aufenthaltsort und Pausenraum zugleich dient. Ebenso stellt die halb öffentliche Zone im Erdgeschoss einen Teil der horizontalen Erschliessungsfigur im offenen Parterre dar und bezieht dabei den Bewegungsfluss des bestehenden Modulbaus ein. So stellt der sogenannte Marktplatz ein räumliches Kontinuum, das mit den zentral liegenden Treppenaufgängen und Verbindungsbrücken die vertikale Ebene ebenfalls aufnimmt, dar.
Probieren über Studieren
Apropos Treppen: Gemeinsam mit den sanitären Bereichen im Gebäudezentrum haben diese eine komplett eigene Gestaltungssprache erhalten, womit zugleich das Materialrepertoire des Neubaus erweitert wurde. Zwei prägnante Kerne, wovon einer die vertikale Erschliessung und der andere die WC-Räume aufnimmt, behaupten sich im Innenraum. Beide wurden vollständig aus Stampflehm erstellt und heben sich so haptisch und optisch vom restlichen Innenraum ab – jedoch dienen die beiden Kerne lediglich einer gestalterischen Funktion, die zugleich dem Raumklima zugutekommt, und zeigen die Weiterentwicklung sowie das Potenzial traditioneller Baumaterialien.
Ihr Rohstoff stammt zu rund 85% aus dem Aushub des Gebäudes, der direkt vor Ort mit minimalem Energieaufwand durch einen eigens entwickelten Roboter weiterverarbeitet wurde. Durch diese maschinelle Verarbeitung konnte einerseits ein gleichmässigeres Verdichten des Lehms – von 15 cm losem auf 9 cm festes Material – und andererseits eine schnellere Produktion der 1 m hohen Lehmsteine gewährleistet werden. Zugleich wurde mit der robotischen Fertigung aufgezeigt, wie sich ein uralter Baustoff dank innovativer Herstellungsmethoden bestens für zeitgemässe Bauwerke eignen kann.
Bei einem Abbruch oder Rückbau des Gebäudes kann das Rohmaterial einfach wieder an die Natur zurückgegeben, problemlos in den Rohstoffkreislauf zurückgeführt oder sogar für andere Bauteile verwendet werden. So simpel sich dies auch anhört, so stellten die vorrangigen Prozesse zur Herstellung der Lehmsteine die Planer vor unerwartete Herausforderungen: Bereits geringe Temperatur- und Wetterschwankungen hatten massiven Einfluss auf den Trocknungsvorgang und die resultierende Qualität der einzelnen Bausteine, sodass unentwegt auf diese äusseren Einflüsse reagiert werden musste. Mit dem Experimentieren am eigenen Objekt hat Erne sich gemäss dem Leitsatz „Learning by Doing“ letztlich wichtiges Wissen angeeignet und Erfahrungen gesammelt sowie zugleich mit der Umsetzung am Firmenstandort ein Vorzeigeobjekt für Kund:innen geschaffen. Darüber hinaus zeigt der Neubau die Vorteile der Materialkombination von Holz und Lehm auf, die von raumklimatischen bis hin zu gestalterischen Aspekten überzeugt.
Facetten der Nachhaltigkeit
Doch nicht nur die Wahl natürlicher Materialien sowie deren überlegte Kombination sorgen in der offenen Bürolandschaft für ein angenehmes Raumklima. Ebenso ist daran massgeblich eine innovative gebäudetechnische Lösung beteiligt: Das vom Unternehmen selbst entwickelte, energieeffiziente SupraFloor-ecoboost2-System wurde direkt in die Verbunddecken integriert und hilft bei der gleichmässigen Verteilung von Wärme sowie Kälte, wobei der Recyclingbeton als aktivierbare Speichermasse genutzt wird. Zugleich leistet die Heizkühldecke mit thermischer Massenaktivierung einen relevanten Beitrag auf dem Weg zum Netto-null-Ziel bezüglich Klimaschutz. Die benötigte Heizwärme wird über eine Grundwasserwärmepumpe bereitgestellt, die zudem alle anderen Gebäude auf dem Erne-Areal versorgt. Darüber hinaus wird die Kraft der Sonne genutzt, sodass insgesamt 640 m2 Photovoltaikmodule auf den Dachflächen sowie auf den auskragenden Vordächern ökologischen Strom fürs Bürogebäude liefern.
Der Nachhaltigkeitswille zieht sich demnach in all seinen Facetten als roter Faden durch das Bauwerk: Der minimale Einsatz von Ressourcen und der Kreislaufgedanke sind nicht nur in der Theorie mitgedacht, sondern haben vor allem in der Umsetzung ihren Weg in die Realität gefunden. Für einen minimalen Ressourceneinsatz wurden neue Konstruktionen entwickelt, die mit einem Minimum an Material auskommen. Zu sehen ist dies sowohl in den filigranen Rippendecken als auch in der geschickten Kombination von Holz mit anderen Materialien, die sich für den jeweiligen Verwendungszweck eignen – etwa Recyclingbeton als Speichermasse. Dank einer nachhaltigen Lösung hinsichtlich der Energiegewinnung repräsentiert der Neubau ein ganzheitlich gedachtes Vorbild und zugleich ein experimentelles Versuchsobjekt, das die notwendigen Stellschrauben aufzeigt.
Der Weg ist das Ziel
So viel wie nötig und so wenig wie möglich: Auf dem Weg zum Netto-null-Ziel zeigt der Bürobau auf, wie sich Funktion, Innovation sowie Tradition, Nachhaltigkeit und Ästhetik unter einem Dach vereinen lassen – ohne dabei Einbussen an Qualität hinnehmen zu müssen. Ganz im Gegenteil: Die Kombination dieser Aspekte schafft Mehrwert und zeigt zugleich, dass nicht immer ein Schwarz-Weiss-Denken – ob Holz- oder Betonbau – der richtige Weg ist. Eine optimale Lösung liegt in der geschickten Kombination von Materialien und ihrer Eigenschaften: In Anbetracht dieser Tatsache wurde hier nicht nur ein qualitativer Arbeitsraum geschaffen, sondern vor allem ein Anschauungsobjekt zum Erleben, Anfassen und zum Aufzeigen realisiert, das einen der neu einzuschlagenden Wege in der Baubranche vorlebt.
© Roger Frei
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