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Der Alltag auf Rädern

Matyas Sagi-Kiss (Wirtschaftsjurist FH, Vorstand von Pro Infirmis Schweiz) wohnt im Zollhaus der Genossenschaft Kalkbreite in Zürich, lebt seit Geburt mit Cerebral Parese und fährt eine Elektro Rollstuhl. In dieser 6-teilige Kolumne lädt er zu einem Perspektivenwechsel ein.

Um eine endlose Geschichte etwas zu verkürzen: Mir ist zum zweiten Mal in vier Jahren der Bettrost durch den Rahmen gefallen – mitten in der Nacht. Nicht etwa aufgrund aussergewöhnlicher Aktivitäten, sondern vermutlich eher dem unsanften Transfer vom Rollstuhl ins Bett und meiner weniger zierlichen Statur geschuldet. Folglich durfte ich die Nacht im Rollstuhl sitzend verbringen und habe – wie zu erwarten ist – kein Auge zugetan. Mit der Zeit habe ich die Versuche zu schlafen sein gelassen und mich mit der von mir geliebten Droge – Filterkaffee – gleich gänzlich geweckt.

Was man so tut in dieser Situation? Wenn ich mit einem Problem konfrontiert bin, habe ich immer das brennende Bedürfnis, es zu lösen. Als Rollstuhlfahrer mit kaputtem Bett habe ich angefangen, Alternativen zu googeln, obwohl mir schon aus visuellen Gründen davor graut, eine Art Pflegebett in meine Wohnung zu stellen. Vielleicht gibt es ja eine gute Alternative zu den etwas sperrig und oft altertümlich wirkenden Pflegebetten, welche man traditionell aus Spitälern kennt?

Meine Recherchen waren zumindest teilweise von Erfolg gekrönt. In einer Preisspanne von ca. 2500 bis 6500 Fr. lässt sich etwas brauchbares finden, bei dessen Anblick nicht gleich Spitalerinnerungen in Form des Geruchs von Desinfektionsmittel und vom Anblick des Linoleumbodens hochkommen. Etwas sperriger sind diese Betten aber dennoch, und wenn die Wohnung wie meine 47 m2 gross bzw. klein ist und ein Elektrorollstuhl, ein Assistenzhund und alles was sonst noch zum Leben benötigt wird, dazukommt, wird es schnell knapp.

Nicht endlos sind auch die finanziellen Mittel, sodass mit Sozialversicherungen um die Kostenübernahme diskutiert und voraussichtlich gestritten werden muss. Da Hilfsmittel von Gesetzes wegen einfach und zweckmässig zu sein haben und diese beiden Adjektive oft kreativ zu Ungunsten der Lebensqualität ausgelegt werden, werde ich unter Umständen mit einem gebrauchten „Spitalbettchen“ abgespeist… 

Niemand – auch ich nicht – erwartet, dass Menschen mit Behinderung Designermöbel als Hilfsmittel finanziert bekommen. Wenn ich nur schon an die endlosen Diskussionen mit der Versicherung denke, kann ich vermutlich auch schon um eine Art Gesprächstherapie anfragen, um mit der Abwehrreaktion der Versicherungen gesund umgehen zu können. Aber vielleicht kann letztere Aufgabe ja auch von meiner Assistenzhündin Ginger übernommen werden: Mit Gesprächstherapie im herkömmlichen Sinne hat das dann zwar nichts zu tun, doch immerhin wäre diese Art der Aufarbeitung sicher im Sinne der Versicherungen „einfach und zweckmässig“. 

Worauf ich eigentlich hinaus will: Will man an einem Ende vermeintlich Ausgaben einsparen, sorgt dies im Ganzen betrachtet nicht immer für Ersparnisse. Denn es geht selten um „Designkosten“, sondern oft um Funktionen, welche das eine Hilfsmittel ausführen kann. Beim Rollstuhl ist das zum Beispiel die Höhenverstellbarkeit, welche, wenn überhaupt, nur bei Rollstuhlfahrer:innen übernommen wird, die arbeiten, obschon es per se keine Korrelation zwischen dem Bedarf nach einem höhenverstellbaren Rollstuhl und der Arbeit gibt.

Ich habe das Glück, berufstätig sein zu können und mir den einen oder anderen kleinen Luxus leisten zu können bzw. zu wollen. Somit steigt meine Hoffnung, dass ich nicht mit einem sperrigen Secondhand-Spitalbett in meinem kleinen Reich enden werde.  Auch kann ich mich gegen eifrige Leistungsverweigernde und vermeintlich wirtschaftlich handelnde Sozialversicherungen zur Wehr setzen. Aber wie sieht es fpr all jene aus, die das nicht können?

Lassen Sie uns gemeinsam an einer inklusiven Zukunft arbeiten. Mehr dazu finden Sie hier.

 

 

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