Stockwerkeigentum ist für eine immer grösser werdende Zahl von Leuten praktisch die einzige Möglichkeit, noch Grundeigentum zu erwerben. Dies, weil die Preise für Einfamilienhäuser immer astronomischere Höhen erreichen. Aber in einem Haus, das in Stockwerkeigentum aufgeteilt ist, braucht es ein zumindest minimales Zusammenwirken der verschiedenen Stockwerkeigentümer. Das ist nicht immer ganz einfach. Während es in einem Mietshaus – etwas plakativ ausgedrückt – einen Häuptling gibt und der Rest Indianer sind, gibt es im Haus, das in Stockwerkeigentum aufgeteilt ist, nur Häuptlinge. Jeder Stockwerkeigentümer ist eben Eigentümer und nicht Mieter und will auch „befehlen“. Daher kommen Differenzen in der Stockwerkeigentümer-Gemeinschaft nicht selten vor. Hier sollen drei Knackpunkte näher beleuchtet werden, die immer wieder zu Diskussionen führen.
Das Zivilgesetzbuch (ZGB), welches das Stockwerkeigentum in den Art. 712a ff. regelt, ent-hält keine eigenen Bestimmungen darüber, wie die Beschlüsse in der Stockwerkeigentümer-Versammlung zu fassen sind; es verweist auf die Regeln des Vereinsrechts (Art. 712m Abs. 2 ZGB). In Art. 67 Abs. 2 ZGB lesen wir: „Die Vereinsbeschlüsse werden mit der Mehrheit der Stimmen der anwesenden Mitglieder gefasst.“ Im Verein gilt das Kopfstimmrecht, d.h., jedes Vereinsmitglied hat eine Stimme. Das gilt im Grundsatz auch für das Stimmrecht in der Stockwerkeigentümer-Versammlung, doch kann davon abgewichen werden. Zahlreiche Reglemente sehen denn auch ein gewichtetes Stimmrecht vor, d.h., es wird nach den Wertquoten abgestimmt.
Im Recht des Stockwerkeigentums werden drei Arten von Mehrheiten genannt:
• das einfache Mehr (oder auch das
absolute Mehr)
• das qualifizierte Mehr (nach Wertquoten und Köpfen)
- Einstimmigkeit
Wir betrachten hier nur das einfache Mehr. Wenn nun im Reglement keine abweichenden Bestimmungen zu finden sind, dann wird das einfache Mehr der anwesenden oder vertretenen Stimmen (seien dies nun Kopfstimmen oder – falls im Reglement vorgesehen – Wertquoten) ermittelt. Das bedeutet, ein Antrag wird angenommen, wenn mehr als die Hälfte der anwesenden oder vertretenen Stimmen dem Antrag zustimmt. Das bedeutet im Ergebnis, dass die Nein-Stimmen und die Enthaltungen zusammen den Ja-Stimmen gegenübergestellt werden. Das soll anhand eines Beispiels erläutert werden:
Nehmen wir an, in einer Stockwerkeigentümer-Gemeinschaft gibt es 1000 Wertquoten und 20 Stockwerkeigentümer, die je 50 Wertquoten halten, und es wird nach Wertquoten abgestimmt, nicht nach Köpfen. (Im Regelfall haben nicht alle Stockwerkeigentümer gleich viele Wertquoten, aber hier soll dies der Einfachheit halber der Fall sein.) Von diesen 20 Stockwerkeigentümern sind an der Versammlung 16 anwesend oder vertreten, 4 sind abwesend. Somit sind 16 × 50 = 800 Wertquoten anwesend oder vertreten. Das heisst nun, dass das einfache Mehr erreicht ist, wenn dem Antrag 401 Wertquoten zustimmen. Nehmen wir an, 8 Stockwerkeigentümer stimmen Ja (= 400 Wertquoten), 6 Stockwerkeigentümer stimmen Nein (= 300 Wertquoten) und 2 Stockwerkeigentümer enthalten sich (= 100 Wertquoten). Damit ist der Antrag abgelehnt, weil nicht 401 Wertquoten Ja gestimmt haben.
Nun kann man sich mit Fug und Recht fragen, ob das sachgerecht ist. Denn diejenigen, die sich enthalten haben, brachten doch zum Ausdruck: „Ist mir egal, macht ihr das doch untereinander aus.“ Aber deren Stimmen werden gleichwohl wie Nein-Stimmen gewertet. Oft ist das denjenigen, die sich enthalten, nicht einmal bewusst. Weil die gesetzliche Regelung nicht zwingend ist, kann im Reglement auch bestimmt werden, dass das einfache Mehr der (gültig) abgegebenen Stimmen (seien dies nun Kopfstimmen oder Wertquoten) ermittelt wird. Das bedeutet, dass ein Antrag angenommen wird, wenn er mehr Ja-Stimmen als Nein-Stimmen auf sich vereint und die Enthaltungen ausser Betracht fallen.
Nehmen wir wieder das vorstehende Beispiel mit den anwesenden 800 Wertquoten, mit 400 Wertquoten Ja, 300 Wertquoten Nein und 100 Wertquoten Enthaltungen. Dann ist das absolute Mehr erreicht, wenn 351 Ja-Stimmen abgegeben werden (400 + 300 = 700 ./. 2 + 1 = 351). Der Antrag wäre somit mit 400 Wertquoten angenommen, weil bei dieser Regelung die 100 Wertquoten Enthaltungen ausser Betracht fallen.
Während bei der ersten Variante (anwesende oder vertretene Stimmen) zu Beginn der Ver-sammlung das einfache Mehr bekannt gegeben werden kann, weil es immer gleich ist, muss das einfache Mehr bei der zweiten Variante (abgegebene Stimmen) bei jeder Abstimmung neu ermittelt werden. Das ist vielleicht der Nachteil dieser Variante. Aber nach der hier vertretenen Ansicht ist das die sachgerechtere Lösung. Es empfiehlt sich demnach, im Reglement nachzusehen, wie die Formulierung lautet, denn wie das obige Beispiel zeigt, kann bei gleicher Zahl der Ja- und Nein-Stimmen im einen Fall ein Antrag angenommen, im anderen abgelehnt sein. Wird die Ermittlung nicht richtig vorgenommen, können Beschlüsse leicht angefochten werden. Das führt zu Kosten, Verzögerungen und Ärger und ist dem Hausfrieden nicht dienlich.
Vollmacht des Verwalters
Jede Stockwerkeigentümer-Gemeinschaft soll einen Verwalter bestellen. Dessen Wahl ist in der Kompetenz der Stockwerkeigentümer-Versammlung (Art. 712m Abs. 1 Ziff. 2 ZGB). Kommt keine Wahl zustande, kann jeder Stockwerkeigentümer die Bestellung eines Verwalters durch das Gericht verlangen (Art. 712q Abs. 1 ZGB).
Der Verwalter vertritt im Bereich seiner gesetzlichen Aufgaben die Gemeinschaft und die Stockwerkeigentümer gegen aussen (Art. 712t Abs. 1 ZGB). Zur Führung eines anzuhebenden oder vom Gegner eingeleiteten Zivilprozesses bedarf der Verwalter ausserhalb des summarischen Verfahrens der vorgängigen Ermächtigung durch die Versammlung der Stockwerkeigentümer, unter Vorbehalt dringender Fälle, in denen die Ermächtigung nachgeholt werden kann (Art. 712t Abs. 2 ZGB). Dass der Verwalter nicht ohne Ermächtigung der Stockwerkeigentümer einen Prozess gegen einen Dritten einleiten kann, ist sachgerecht, ja sollte sich eigentlich von selbst verstehen. Immerhin sind mit einem solchen Prozess unter anderem nicht unerhebliche Kosten verbunden.
Wird indessen ein Prozess gegen die Stockwerkeigentümer-Gemeinschaft eingeleitet, setzt das Gericht eine meist kurze Frist für die Beantwortung der Klage an. Der Verwalter muss sich dann beeilen, so rasch als möglich eine ausserordentliche Versammlung der Stockwerkeigentümer einzuberufen, bei der es einzig um seine Ermächtigung geht, die Gemeinschaft vor Gericht zu vertreten bzw. eine Anwältin zu beauftragen, dies zu tun. Im Reglement ist im Regelfall eine Einladungsfrist von 20 oder 30 Tagen vorgesehen, sodass die vom Gericht gesetzte Frist ablaufen kann, bevor reglementskonform die Versammlung einberufen worden ist. Natürlich kann die richterliche Frist erstreckt werden, aber der Verwalter kommt unter Zeitdruck. In einer kleinen Stockwerkeigentümer-Gemeinschaft, bei der alle Eigentümer im Hause wohnen, kann im Regelfall schnell eine Versammlung einberufen werden. Wenn alle Stockwerkeigentümer da und einverstanden sind, geht das auch spontan ohne Einhaltung von Fristen. Aber in einer grossen Stockwerkeigentümer-Gemeinschaft, z.B. einer grösseren Baute mit Ferienwohnungen, deren Eigentümer eventuell im Ausland wohnen, kann es für den Verwalter zeitlich eng werden. Insbesondere muss er dafür sorgen, dass diese ausserordentliche Versammlung überhaupt beschlussfähig ist. Er muss eventuell die Eigentümer einzeln motivieren, doch zumindest jemandem die Vollmacht zu erteilen, wenn sie nicht ein paar Hundert Kilometer anreisen wollen, bloss um einer 10-minütigen Versammlung beizuwohnen. Allein dieses Prozedere kann schon nicht unerhebliche Kosten verursachen.
Es stellt sich deshalb die Frage, ob es Vereinfachungen gäbe. Diese Frage kann bejaht werden, denn die Regel von Art. 712t Abs. 2 ZGB ist nicht zwingend. Das Reglement kann eine andere Lösung vorsehen. In einer grossen Stockwerkeigentümer-Gemeinschaft gibt es häufig einen Ausschuss, der das Bindeglied zwischen der Gemeinschaft der Stockwerkeigentümer und dem Verwalter bildet und es diesem erleichtert, die anstehenden Probleme mit einer kleinen Gruppe von Personen zu besprechen. Denkbar ist daher, dass das Reglement vorsieht, dass bei Prozessen gegen die Stockwerkeigentümer-Gemeinschaft die Ermächtigung an den Verwalter durch den Ausschuss erteilt wird, der dann seinerseits die ganze Gemeinschaft informiert. Auf diese Weise können Stress und Kosten vermieden werden. Hinzu kommt, dass es ja faktisch gar keine Alternative gibt, als den Verwalter zu ermächtigen. Denn wenn die Stockwerkeigentümer-Gemeinschaft den Verwalter nicht ermächtigt, kann sich die Gemeinschaft im Gerichtsverfahren nicht vernehmen lassen und versuchen, die Klage abzuwehren. Es findet dann in diesem Zivilprozess das sogenannte Abwesenheitsverfahren statt. Das Gericht kann dann den Entscheid aufgrund der Eingabe der klagenden Partei, der von dieser eingereichten Akten und der Vorbringen der klagenden Partei in der Hauptverhandlung fällen (Art. 223 und 234 Zivilprozessordnung). Da kommt selten ein Urteil zugunsten der be-klagten Partei heraus, was bestimmt nicht im Interesse der Stockwerkeigentümer-Gemeinschaft liegt. Die Erteilung der Ermächtigung an den Verwalter ist daher ein Muss, eigentlich eine Formsache, und die kann man getrost an einen Ausschuss delegieren.
Notwendige bauliche Massnahmen werden nicht ergriffen
Art. 712g Abs. 1 ZGB verweist für die Zuständigkeiten zu baulichen Massnahmen auf die Bestimmungen über das Miteigentum. Diese finden sich in Art. 647 ff. ZGB. Art. 647c ZGB bestimmt, dass Unterhalts-, Wiederherstellungs- und Erneuerungsarbeiten, die für die Erhaltung des Wertes und der Gebrauchsfähigkeit der Sache nötig sind, mit einfachem Mehr beschlossen werden können. Das Recht jedes Stockwerkeigentümers, zu verlangen, dass die für die Erhaltung des Wertes und der Gebrauchsfähigkeit der Sache notwendigen Verwaltungshandlungen durchgeführt und nötigenfalls vom Gericht angeordnet werden, kann einem Stockwerkeigentümer durch das Reglement oder Beschluss der Versammlung nicht entzogen werden. Kein Stockwerkeigentümer muss sich daher gefallen lassen, dass der Wert des Stockwerkeigentums nicht erhalten wird, etwa weil die anderen Stockwerkeigentümer kein Geld ausgeben wollen.
Die Betonung liegt allerdings auf den notwendigen baulichen Massnahmen, worüber man sich trefflich streiten kann. Es gibt Fälle, die klar scheinen, so etwa, wenn das Dach undicht geworden ist und bei Regen immer wieder Wasser ins Gebäude eindringt. Klar scheint auch ein Fall, wo sich Fassadenteile lösen und herunterfallen. Dadurch können einerseits Passanten verletzt werden, und andererseits kann die Fassade weiteren Schaden nehmen, indem etwa die Isolation ungeschützt der Witterung ausgesetzt ist. Aber es gibt auch immer wieder Grenzfälle, wo die Sparfüchse unter den Eigentümern auf der Kostenbremse stehen. Letztlich ist es im Konfliktfall Sache des Richters, zu entscheiden, ob verlangte bauliche Massnahmen notwendig sind oder nicht.
Wenn also ein Eigentümer oder auch der Verwalter der Gemeinschaft der Stockwerkeigentümer notwendige bauliche Massnahmen vorschlägt und die Mehrheit diese ablehnt, können die unterlegenen Stockwerkeigentümer den Richter anrufen. Und hier kommt dann das sogenannte summarische Verfahren zur Anwendung (Art. 249 lit. d Ziff. 1 Zivilprozessordnung). Das bedeutet, es entscheidet im Regelfall ein Einzelrichter, die angesetzten Fristen sind kürzer als im ordentlichen Verfahren, es gibt im Regelfall nur einen einfachen Schriftenwechsel, die Gerichtsferien gelten nicht, und der Richter soll schnell entscheiden. Im summarischen Verfahren können als Grundsatz nur Urkunden als Beweise verwendet werden, Zeugeneinvernahmen, Augenschein, Gutachten sind nicht vorgesehen. Von diesem Grundsatz kann abgewichen werden, wenn es der Verfahrenszweck erfordert (Art. 254 Zivilprozessordnung). Für die Verfahren um Anordnung von baulichen Massnahmen wird überwiegend bejaht, dass es keine Beschränkung der Beweismittel auf Urkunden geben soll, denn der Richter muss einen – unter Umständen kostspieligen – Entscheid fällen, der gut fundiert sein muss.
Dieses schnelle Verfahren vor dem Einzelrichter mag für einfachere Fälle geeignet sein, etwa wenn es um die sofortige einfache Reparatur eines Daches geht. Aber wenn komplexere Bauvorhaben zur Diskussion stehen, kommt ein Richter in diesem Verfahren bald einmal an seine Grenzen. Jedenfalls geht es sicher nicht schnell, wenn der Richter einen doppelten Schriftenwechsel durchführt und dann eventuell noch einen Gutachter einsetzen muss. Aber es ist der gesetzgeberische Entscheid, dass dieses Verfahren zur Anwendung kommt.
Was bedeutet das? Die Stockwerkeigentümer sind gut beraten, wenn sie bei angeblich notwendigen baulichen Massnahmen vorgängig fachkundigen Rat einholen. Worum geht es konkret, was droht, wenn die Massnahmen nicht ausgeführt werden, was soll sinnvollerweise gemacht werden, und mit welchen Kosten ist zu rechnen? Wenn mehrheitlich vernünftige Menschen am Tisch sitzen, sollten sie sich der fachkundigen Empfehlung nicht verschliessen, auch wenn Geld aufgewendet werden muss. Allenfalls kann man etappiert vorgehen, und es gibt immer günstige – aber gleichwohl taugliche – Massnahmen. Die Alternative zur Einigung ist nicht attraktiv: Der Richter befiehlt der Stockwerkeigentümer-Gemeinschaft, konkrete bauliche Massnahmen ausführen zu lassen.
Text: Christoph Locher
Christoph Locher, Fachanwalt SAV Bau- und Immobilienrecht, St. Gallen ist im Bereich des privaten Bau- und Immobilienrechts tätig und der Kanzlei vocate in St. Gallen angeschlossen.